„Wir haben eine Vertrauenskrise und keine Bankenkrise“

Die Pleite von US-Banken und die Rettung der Credit Suisse haben die Finanzmärkte in Aufruhr versetzt. Mit entschlossenem Handeln konnten sie wieder beruhigt werden. Wie es um den Bankensektor bestellt ist und warum ein Liquiditätsschirm auch in Europa hilfreich wäre, analysiert Jörg Bayer von Raiffeisen Research.

Transparenter Regenschirm
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Mit der Silicon Valley Bank hat es begonnen, dann die Credit Suisse. Wie steht es um den Bankensektor?
Jörg Bayer: Die Silicon Valley Bank war die Ursache, dass die Märkte so nervös geworden sind. Bei der Silicon Valley Bank war es am Anfang kein klassischer Bankrun, sondern es waren Technologie-, Venture-Capital-Unternehmen, die aufgrund des Marktumfelds ihre Einlagen als Investment benötigt haben. Die Bank musste dafür ihre liquiden Assets verkaufen. Jetzt wo die Zinsen steigen, notierten die Anleihen nicht mehr mit 100 in den Büchern, sondern mit weniger. Aufgrund der Verkäufe wurden somit Verluste realisiert, das war das große Problem bei der Silicon Valley Bank. So ist einfach sehr viel Geld aus der Bank geflossen, daraus hat sich eine Dynamik via Whatsapp- und Telegram-Gruppen entwickelt, was letztlich zum Bankrun geführt hat. Das hat es immens beschleunigt. Wir hatten noch nie so einen Bankrun, bei dem Kunden ihr Geld in so einer Dimension und Schnelligkeit abhoben.

Von welchen Dimensionen sprechen wir?
Bayer: Allein am Freitag wurden 42 Milliarden Dollar behoben. Wenn man das mit Bear Stearns vor 15 Jahren vergleicht, da reden wir von 18 Mrd. Dollar über 10 Tage. Dass es diesmal so schnell passiert ist, hat die Märkte wirklich am falschen Fuß erwischt und zur Vertrauenskrise geführt. Nach der Signature Bank hat man sich gefragt, ob es eine Bankenkrise wird oder sich um erklärbare Einzelfälle handelt. Aus meiner Sicht eine klare Antwort: Es sind erklärbare Einzelfälle. Das wichtigste Gut für Banken ist Vertrauen. Die Institute können noch so gute Kennzahlen haben, gegen einen Bankrun kann man sich kaum wehren. Das erschüttert sogar die besten Banken der Welt, wenn die Einlagen so rasant abfließen. 

Wie überraschend war dann die Schieflage der Credit Suisse?
Bayer: Nachher ist man immer schlauer. Es hat in den letzten Jahren kein Thema gegeben, in das die Credit Suisse nicht verwickelt war – ob bei der Abwicklung von Fonds oder Compliance-Themen. Die Credit Suisse hatte schon extrem an Vertrauen eingebüßt. Schon im vierten Quartal hat man Abflüsse bei den Einlagen von über 120 Mrd. gesehen. Die Bilanzsumme hat sich deutlich reduziert. Dann hat es Restrukturierungspläne und neue Investoren gegeben. Das Ende der Silicon Valley Bank hat schließlich das letzte Vertrauen gekostet und wieder zu Einlagenabflüssen geführt, die selbst die Schweizer Nationalbank mit einer Liquiditätsgarantie von immerhin 50 Milliarden nicht stoppen konnte. Es ist ein langer Prozess an Verfehlungen und unvorteilhafte Äußerungen von den Investoren aus Saudi-Arabien waren ein Brandbeschleuniger. So musste die Aufsicht dann einfach eingreifen.

Hat die Schweizer Aufsicht zu lange zugeschaut?
Bayer: Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Wenn man als Analyst die Kennzahlen betrachtet, war die Bank immer deutlich über allen Anforderungen und liquiditätsseitig solide aufgestellt. Vielleicht hätten sie bei den Compliance-Vergehen früher strikter sein sollen. Nachdem der Reputationsschaden passiert ist, hatte die Aufsicht kaum andere Möglichkeiten als die Rettung der Bank. Einem Vertrauensverlust per se kann auch ein Regulator nicht vorbeugen.

Die Neue Zürcher Zeitung titelte: „Ein Zombie ist weg, doch ein Monster entsteht.“ Wie sehen Sie die UBS nach der Übernahme der Credit Suisse? 
Bayer: Die Bank ist jetzt definitiv wieder ein Player in der ersten Reihe. Davor war sie keine Konkurrenz für die großen amerikanischen Investmentbanken, für UK-Banken oder auch die BNP Paribas. Jetzt ist sie definitiv auf Augenhöhe. Wo sie sicher ein Monster ist, ist im Bereich Vermögensverwaltung, da ist die UBS jetzt inzwischen die Nummer 3, was Assets-under-Management betrifft. Da ist die Bank jetzt sicher deutlich stärker, hat ein größeres Volumen und kann nahezu mit Black Rock mitspielen. Ob das zwangsläufig ein böses Monster ist, bin ich mir nicht sicher. Es ist kein Problem, wenn bei diesen großvolumigen Kunden nicht nur Amerikaner mitmischen, sondern auch einige Europäer. Die UBS hat seit der Finanzkrise auch bewiesen, dass sie klassisches Bankgeschäft kann. Sie hat das Investment Banking reduziert und hat sich auf ein solides, wenig volatiles Geschäft konzentriert.

Die Schweiz ist bereit, Regeln und Vorgaben kreativ auszulegen, um den Finanzplatz zu stützen.

Jörg Bayer
Porträt von Jörg Bayer
Jörg Bayer © RBI/Sara Tomic

Hat die Situation dem Finanzplatz Schweiz geschadet?
Bayer: Wenn ich mir die Schweizer Zeitungen anschaue, dann ja. Auch ja, wenn ich sehe, wie mit den AT1-Anleihen, den nachrangigen Anleihen, umgegangen worden ist. Mittelfristig hat sich aber klar gezeigt, dass die Schweiz bereit ist, Regeln und Vorgaben kreativ auszulegen, um den Finanzplatz zu stützen. Als Kunde wird das eher als positiv angesehen. Klar wird es jetzt einen Aufschrei geben, aber so eine Lösung übers Wochenende zu schaffen, geht sicherlich nicht in jedem Rechtssystem. Aus Schweizer Sicht wurde da sehr viel richtig gemacht.

Als Auslöser für die Bankpleiten werden auch die Zinserhöhungen angeführt. Wie sehr stressen die Zinserhöhungen? 
Bayer: Lange haben die Banken geschrien, dass die Zinsen zu niedrig sind – nicht zu unrecht. Banken profitieren per se von Zinserhöhungen, auch weil es ein Time-Gap zwischen ausstehenden Krediten und Einlagenzinsen gibt. In einem Zinserhöhungszyklus verdienen Banken so gut wie in keinem anderen Zyklus. Es ist also grundsätzlich positiv, solange die Zinsen ein Niveau haben, wo die Schuldner ihre Kredite bedienen können. Kritisch ist, dass die Banken für ihre Coverage Ratio Staatsanleihen in einer Phase der Niedrigzinspolitik gekauft haben, was eben jetzt zu Kursverlusten geführt hat. Die Federal Reserve ermöglicht deshalb nun auch den Banken, diese liquiden Assets zu 100 Prozent als Sicherheit zu hinterlegen, um ohne Verluste an Liquidität zu kommen. So möchte die Fed die Achillesferse, die auch der Silicon Valley Bank am Ende zum Verhängnis wurde, ausgleichen. Das ist ein zielgerichtetes und gutes Instrument. 

Arbeitet die EZB auch an so einem Instrument?
Bayer: Ich hätte mir schon letzte Woche von der EZB erwartet, dass in diese Richtung etwas kommt. Aber diese Entscheidung gibt es in Europa noch nicht. EZB-Chefin Christine Lagarde hat allerdings angekündigt, etwas in der Schublade zu haben, sollte eine Euro-Bank in gröberen Stress geraten.

Die EZB hat in der Vorwoche noch um 50 Basispunkte die Leitzinsen angehoben. Erwarten Sie Auswirkungen auf die weiteren Zinsschritte? 
Bayer: Wir haben selten so volatile Zinserwartungen gesehen wie in den letzten Wochen – sowohl in den USA also auch in Europa. Vor der Silicon Valley Bank waren die Erwartungen an die Zinserhöhungen am höchsten Level. Marktgepreiste Erwartungen von 4 Prozent bei der EZB hätten nochmals 150 Basispunkte bedeutet. Die Tonlage auf beiden Seiten des Atlantiks war sehr hawkish. Vor allem die Kerninflation wollte man mit Zinserhöhungen bekämpfen. Der Wortlaut ist jetzt neutral. Die Zentralbanken schauen sehr genau, wie es mit der Finanzstabilität ausschaut. Die EZB hat es vielleicht sehr schön zum Ausdruck gebracht, dass das zwei verschiedene Themen sind: Inflationsbekämpfung und Finanzmarktstabilität. Es bringt auch nichts, wenn man die Inflation nun ignoriert, das kann nicht die Lösung sein. Man sollte wie die Fed eine Art Liquiditätsschirm für die Banken vorsehen und trotzdem den Zinspfad beibehalten. Er wird vielleicht weniger aggressiv sein, aber wir sind noch nicht am Ende. 

Mit welchen Zinsschritten rechnet Raiffeisen Research?
Bayer: Die EZB wird Tempo herausnehmen. Wir rechnen noch dreimal mit 25 Basispunkten, zumindest zwei Schritte sind für uns relativ klar. Die USA sind noch schwerer zu lesen, weil sie im Zinszyklus schon deutlich weiter sind. Ich schließe nicht aus, dass es der letzte Zinsschritt der Fed war.

Wie ist es um das Vertrauen innerhalb des Bankensektors bestellt?
Bayer: Festhalten muss man allerdings, dass der Interbankenmarkt funktioniert. Das Vertrauen der Banken untereinander ist gegeben. Für eine wirklich tiefgehende Bankenkrise ist ein nicht-funktionierender Interbankenmarkt ein Merkmal. 

Kann man Lehren aus der aktuellen Krise ableiten?
Bayer: Wenn man sich Europa anschaut, dann ist der Zinserhöhungszyklus und insbesondere die Bilanzreduktion der EZB sehr stark auf dem Rücken der Banken ausgetragen worden. Seit dem Sommer des Vorjahres wurden 1.200 Milliarden Euro aus dem Bankenmarkt gezogen, weil die EZB davon ausgegangen ist, dass die Geldhäuser von den höheren Zinssätzen profitieren und die Banken fundamental stark sind. Das stimmt zwar, hilft aber nicht, wenn man liquiditätsseitig plötzlich mit einer Knappheit konfrontiert ist. Bei solchen Schritten sollte man vielleicht etwas vorsichtiger sein und Unternehmen, Staaten und Banken gleichmäßig belasten, wenn man die Bilanzsumme der Zentralbank zurückfährt.

Wie sieht das weitere Szenario aus?
Bayer: Wir glauben, dass noch ein gewisses Angstmomentum da ist und die Wahrscheinlichkeit gar nicht so gering ist, dass nochmal Panik in den Markt kommt. Aber man muss festhalten, dass der europäische Bankensektor fundamental stark aufgestellt ist. Deshalb glauben wir nicht, dass eine Bankenkrise vor der Tür steht. Wenn der Real-Estate-Markt in Europa nachgeben sollte, müssten wir das Thema neu diskutieren. Im Moment haben wir eine Vertrauenskrise und keine Bankenkrise.